Deutschland kann sich nicht einmal mit seiner eigenen Fiskalunion anfreunden, warum also sollte es jemals einer europäischen Fiskalunion zustimmen?
Wenn ich Sie fragen würde, wie man die strukturellen Probleme der Eurozone lösen könnte, bin ich mir sicher, dass die Einrichtung einer Fiskalunion, innerhalb derer die „reichen“ nordeuropäischen Mitgliedsstaaten Transferzahlungen an die „armen“ Länder Südeuropas leisten, zu den häufigsten Antworten zählen würde. Ich frage mich aber bereits seit einer Weile, ob sich die Mitgliedsstaaten überhaupt jemals auf umfassende Transferzahlungen einigen könnten und ob dies in der Eurozone letztlich wirklich zu einem höheren Maß an Konvergenz führen würde. In dieser Woche sind wir den Antworten auf meine Fragen einen Schritt nähergekommen. Und damit meine ich nicht die Probleme im Zusammenhang mit Zypern.
Gestern reichten die deutschen Bundesländer Hessen und Bayern Klage ein gegen den bestehenden Mechanismus fiskalischer Transferleistungen der deutschen Bundesländer untereinander, den so genannten „Länderfinanzausgleich“. Die deutsche Verfassung sieht vor, dass die Finanzkraft der Bundesländer mittels dieser Transferzahlungen einander angepasst werden sollen . Das bisherige System besteht aus vertikalen Zahlungsströmen zwischen dem Bund und den Ländern sowie aus horizontalen Zahlungsströmen zwischen den einzelnen Ländern. Ob ein Bundesland Anspruch auf solche Transferleistungen hat, ergibt sich aus einem speziellen Index, der „Finanzkraftmesszahl“. Diese Kennzahl weist die relative Finanzkraft der einzelnen Bundesländer aus. Derzeit sind Bayern, Baden-Württemberg und Hessen die einzigen Netto-Geberländer, während Berlin die meisten Transferzahlungen erhält.
Bayern und Hessen argumentieren, dass der aktuelle Mechanismus keinerlei Anreize seitens der Netto-Nehmerländer schaffe, ihre finanzielle Lage zu verbessern. Gleichzeitig beklagt man fehlende Sanktionen für haushaltspolitische Misswirtschaft. Darüber hinaus sei es für die Netto-Geberländer kaum erstrebenswert, ihre Finanzen weiter zu konsolidieren, solange der damit erreichte Wohlstand dann umverteilt werde. Im Wesentlichen beschwert sich hier also ein reiches deutsches Bundesland darüber, dass es Transferzahlungen an ein armes deutsches Bundesland leisten soll (welches mit seinen Finanzen mutmaßlich verantwortungslos umgeht). Doch wie wahrscheinlich ist es, dass Deutschland, die Niederlande oder Finnland umfassenden fiskalischen Transferleistungen zugunsten Südeuropas zustimmen, wenn sich bereits innerhalb eines Landes derart massiver Widerstand gegen eine Umverteilung des Wohlstands regt? Darüber hinaus müsste das Bundesverfassungsgericht möglichen strengeren Vorgaben zur Haushaltsdisziplin sowie Sanktionen zustimmen, mit denen Verstöße gegen diese Vorgaben geahndet werden könnten. Können Sie sich so etwas in naher Zukunft in der Eurozone vorstellen, und dies einschließlich entsprechender Klagen aus Deutschland, den Niederlanden und Finnland gegen jede Vereinbarung sowie die entsprechenden Gerichtsurteile auf nationaler und europäischer Ebene? An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, dass das Bundesverfassungsgericht bereits im letzten Jahr angedeutet hat, dass für eine weitere Integration auf europäischer Ebene, wie etwa in Form einer Fiskalunion, ein Referendum notwendig sei. Somit könnten letztlich also die deutschen Steuerzahler selbst entscheiden, ob sie möchten, dass ihre Steuern in andere europäische Länder fließen.
Es stellt sich zudem auch weiterhin die Frage nach den möglichen langfristigen Folgewirkungen einer Fiskalunion. Würden Transferzahlungen der nordeuropäischen Staaten an den Süden wirklich zu einem ausgewogenen Wirtschafts- und Sozialgefüge in Europa führen? In Deutschland haben solche Transferzahlungen der südlichen Bundesländer an ihre Pendants im Nordosten zweifellos dazu beigetragen, dass sich die einzelnen Bundesländer im Hinblick auf ihre Finanzkraft und den Lebensstandard seit der Wiedervereinigung im Jahr 1990 einander ein Stück weit angenähert haben. Nach 23 Jahren fiskalischer Transferleistungen ist die wirtschaftliche Lage der einzelnen Bundesländer aber immer noch sehr unterschiedlich. So variiert beispielsweise die Arbeitslosigkeit in Deutschland von Bundesland zu Bundesland deutlich. Während die Arbeitslosenquote in Mecklenburg-Vorpommern derzeit bei rund 14 Prozent liegt, beträgt sie in Bayern und Baden-Württemberg nur etwas mehr als 4 Prozent. Doch auch die historischen Wurzeln von Unternehmen, die geografische Lage und die daraus resultierenden Unterschiede bei den geostrukturellen Fundamentaldaten werden wohl verhindern, dass die einzelnen Bundesländer wirklich jemals ein gleiches Niveau erreichen werden. Dies wird weiter unterstrichen durch infrastrukturelle Diskrepanzen, Qualitätsunterschiede in den Bereichen Bildung und Forschung sowie durch viele andere Faktoren.
Und darin sehe ich auch den Knackpunkt für die Eurozone. Nur wenn wir die Tatsache akzeptieren, dass eine vollständige Konvergenz und Homogenität in Europa realistischerweise nicht erreicht werden kann – und zwar nicht einmal mit einer Fiskalunion – können wir die Probleme der Eurozone mit einem ausreichenden Maß an Pragmatismus angehen. So könnten wir letztlich zu dem Schluss gelangen, dass man den materiellen Wohlstand der Peripheriestaaten zwar verbessern und auch einige soziale Probleme dort verringert werden könnten, doch dass diese Länder trotzdem nicht so wettbewerbsfähig und wohlhabend werden wie ihre nordeuropäischen Nachbarn. Betrachten wir beispielsweise einmal die USA. Niemand erwartet, dass der Lebensstandard, das durchschnittliche Lohnniveau sowie die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit im gesamten Land absolut gleich oder homogen sind. Trotz einer bereits seit langem existierenden Währungs- und Fiskalunion variieren die Wirtschaftslage sowie die Chancen, die sich daraus ergeben, immer noch sehr stark, je nachdem, ob man in New York, Detroit, Kentucky oder Las Vegas lebt. Aber wenn man möchte, kann man natürlich von Detroit nach Kentucky ziehen, denn dort werden dieselbe Sprache gesprochen und dieselben Traditionen gepflegt. Von einem Umzug von Athen nach München lässt sich dies hingegen sicherlich nicht behaupten. In den USA wird ein gewisses Maß an Ungleichheit und Heterogenität schlichtweg als natürliche Folge einer freien Marktwirtschaft betrachtet (der Rest ist schlechten politischen Entscheidungen geschuldet). Dies könnte einer der Gründe dafür sein, weshalb das US-Modell einschließlich einer Währungs- und Fiskalunion erfolgreich ist.
Für Europa wäre dies allerdings eine unangenehme und unpopuläre Erkenntnis, durch die das aktuelle Streben nach Konvergenz der einzelnen europäischen Länder ganz grundsätzlich in Frage gestellt werden würde. Betrachtet man dann den möglichen langfristigen Nutzen, den die Eurozone ihren Mitgliedsstaaten noch bietet, wenn die Deutschen einer Fiskalunion ihre Unterstützung versagen, stellt sich zwangsläufig die Frage, wohin die Reise des Euro-Projekts geht.
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