Die zweitgrößte Hilfsaktion in der Geschichte Großbritanniens und ihre wirtschaftlichen Konsequenzen
Der „Slavery Abolition Act“ aus dem Jahr 1833 sorgte dafür, dass 800.000 Afrikaner zu freien Menschen wurden, die bis dato rechtliches Eigentum von britischen Sklavenhaltern waren. Weniger bekannt ist die Tatsache, dass das gleiche Gesetz eine Bestimmung zur finanziellen Kompensation der Besitzer dieser Sklaven wegen des Verlustes ihres „Eigentums“ durch den britischen Steuerzahler enthielt. Die Entschädigungskommission war eine Regierungsbehörde, die gegründet wurde, um die Ansprüche der Sklavenbesitzer zu prüfen und die Auszahlung der 20 Mio. Pfund zu verwalten, die die Regierung für die Entschädigungszahlungen zur Seite gelegt hatte. Diese Summe stellte 40% der gesamten Staatsausgaben des Jahres 1834 dar. Nach heutigem Stand entspräche dies einem Betrag von 23 Mrd. Pfund.
Mit der Auszahlung der 20 Mio. Pfund wurde die „Slave Compensation Commission“ betraut, die im Oktober 1833 ihre Arbeit aufnahm und sich aus Stellvertretern des Kolonialamtes und der Registrierungsstelle für Sklaven zusammensetzte. Ihre Arbeit stützte sich auf Daten, die von stellvertretenden Kolonialgremien für Kompensationen, ernannt vom Gouverneur in jeder Kolonie, gesammelt wurden und es wurde eine Entschädigung für Sklaven genehmigt, die am 1. Juli 1835 in den Büchern des Sklavenregisters auftauchten. Die tatsächliche Begleichung der Forderungen wurde ab 1835 durch die Schuldenverwaltung vorgenommen. Die Kommission wurde Ende 1842 eingestellt. Eines ihrer Mitglieder wurde jedoch zum Schiedsrichter ernannt, um gerichtlich über die offenen Forderungen zu entscheiden. Ende des Jahres 1845 flossen alle nicht verwendeten Gelder zurück in die Staatskasse. Das Register bestand bis 1848 fort. Versklavte Afrikaner erhielten nichts.
Dr. Nicholas Draper, Director des Centre for the Study of the Legacies of British Slave-ownership des University College London, legt in seinem Buch The Price of Emancipation nahe, dass etwa die Hälfte der 20 Millionen Pfund, die die britischen Steuerzahler als Kompensation an Sklavenhalter bezahlten, in Großbritannien verblieben ist. Laut BBC beschränkte sich die Sklavenhaltung nicht nur auf die Oberschichten: Ein Sklave galt als gute Investition. Im Jahr 1833 waren Menschen der Mittelschicht wie Geistliche, Marineangehörige und jene, die von den Kolonien zurückkehrten, allesamt Sklavenhalter. Manche kauften einen Sklaven, andere erwarben sie im Rahmen einer Erbschaft oder durch Heirat. Ihr Wert war abhängig von ihren Fähigkeiten, Geschlecht, Alter, Gesundheit und der Rentabilität der Plantage, auf der sie arbeiteten.
Die Entschädigung der 46.000 britischen Sklavenhalter war die größte Hilfsaktion in der britischen Geschichte bis zur Rettung der Banken im Jahr 2009. Anhand von Daten der Bank of England lässt sich ein Verständnis für die Auswirkungen erlangen, die dieser umfangreiche monetäre Stimulus auf die britische Wirtschaft hatte. Die Zahlungen an die britischen Sklavenhalter sind als Helikopter-Abwurf von Geld auf eine ziemlich geschlossene Wirtschaft zu betrachten und die Auswirkungen auf Wachstum, Inflation und die Preise von Vermögenswerten sollten sich direkt erfassen lassen.
An den Staatsfinanzen kann man erkennen, dass die Hilfsaktion größtenteils durch eine staatliche Kreditaufnahme finanziert wurde. Im Jahr 1835 wies der öffentliche Sektor ein Defizit von -15,2 Mio. Pfund auf, was einem nominalen BIP von -2,8% entspricht.
Im Rahmen des IS-LM-Modells wird das Verhalten der Wirtschaftsteilnehmer – Verbraucher, Unternehmen und Regierung – durch die Produkt- und Geldmärkte in Einklang gebracht. Der Produktmarkt gleicht die Nachfrage nach Produkten von Verbrauchern, Unternehmen und der Regierung mit dem Volkseinkommen aus. Der Geldmarkt gleicht die Nachfrage nach Geld von Verbrauchern und Unternehmen mit dem Geldangebot von Regierung und Banken aus. Das Gleichgewicht, zu dem das IS-LM-Modell gelangt, ist das Nachfrage-Gleichgewicht für die Wirtschaft.
Wie es auch die Wirtschaftstheorie nahelegen würde, war die Konsequenz des umfangreichen monetären Anreizes ein Inflationsschub. Der Grund dafür ist, dass der monetäre Anreiz aufgrund eines Nachfrageüberhangs nach Waren und Dienstleistungen zu einem Anstieg der Gesamtnachfrage führte. Nach einer vier Jahre andauernden Deflation von 1832 bis 1835 schoss die Inflation im Jahr 1836 um fast 10% in die Höhe.
Der Anstieg der Gesamtnachfrage führte zu einer vorübergehenden Erhöhung der Produktionsleistung. Da die Produktionsleistung langfristig durch Angebotsfaktoren bestimmt wird, kann sie durch eine fiskalische Expansion nicht dauerhaft auf ein Niveau oberhalb des langfristigen Standes der Vollbeschäftigung erhöht werden. Das nominale BIP stieg im Jahr 1836 um mehr als 8%, das reale BIP um 2,6% an. 1837 schrumpfte die Wirtschaft sowohl auf realer als auch auf nominaler Basis und fand 1838 zu einem positiven Wachstum zurück.
Schaut man sich die treibenden Faktoren des Wirtschaftswachstums in der Zeit nach den Zahlungen an, wird deutlich, dass sich das Konsumwachstum im Jahr 1836 auf 4,3% fast verdoppelte. Höhere Staatsausgaben für Waren und Dienstleistungen fanden, wie auch schon in den Jahren zuvor, nicht statt. Ohne ein soziales Netz überrascht das nicht. Staatliche Ausgaben wurden fast ausschließlich für die Verteidigung genutzt oder zur Tilgung der Staatsschulden aufgewendet (das Verhältnis der Verschuldung in GB zum nominalen BIP betrug im Jahr 1835 155,1% und 50% der Staatsausgaben wurden für den Schuldendienst aufgewendet).
Am stärksten wirkte sich der monetäre Anreiz in der britischen Wirtschaft auf private Investitionen aus, die 1835 um mehr als 46% zunahmen. Die Erträge der staatlichen Hilfsaktion wurden in verschiedene Industrien wie den Schienenverkehr, das Baugewerbe, Banken, Versicherungen und die Schifffahrt investiert.
Am Aktienmarkt wurden in den 1830er Jahren größtenteils Kursgewinne erzielt, so beispielsweise ein Anstieg von 11% im Jahr 1836, 6% im Jahr 1837 und 12% im Jahr 1838. Ein Grund dafür könnte gewesen sein, dass Investoren ihre Mittel in Anteile von Aktiengesellschaften anlegten. Dr. Draper behauptet, dass das gesamte oder ein Teil des Vermögens von einem Fünftel der wohlhabenden viktorianischen Briten von der Sklavenwirtschaft stammte und das bis zu 10 Prozent der Briten, die im 18. Jahrhundert starben, davon profitierten.
Der für den Entschädigungsfonds verfügbare Betrag macht deutlich, welchen Einfluss die viktorianische Elite zu der Zeit auf die britische Regierung hatte. Die Folgen der fiskalischen Kapitalinjektion in die Wirtschaft waren wie aus dem Bilderbuch und beinhalteten unter anderem einen Anstieg des BIP, eine hohe Inflation und steigende Asset-Preise. Es ist ein interessantes wirtschaftliches Ereignis aus der fernen Vergangenheit Großbritanniens, obgleich es seinen Ursprung in dem Grauen der Sklaverei hat.
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