Der Fall der Berliner Mauer – eine Lehre für die Geschichte oder Märkte?
Anfang dieses Monats feierte Deutschland den 30. Jahrestag des Berliner Mauerfalls, ein entscheidender Moment in der jüngeren Geschichte, der den sowjetisch geführten kommunistischen Block an den Rand des Zusammenbruchs brachte. Ob David Hasselhoff nun allein verantwortlich war oder nicht, die Wiedervereinigung des kommunistischen Ostdeutschlands mit dem kapitalistischen Westdeutschland war ein eindeutiger wirtschaftlicher Schock mit einer Reihe von möglichen Lehren. Der demografische Wandel, die Einführung einer einheitlichen Währung und eine straffe Geldpolitik sind einige der wichtigsten Veränderungen aus dieser Zeit, die das heutige Deutschland geprägt haben. Obwohl der Osten seit der Wiedervereinigung zweifellos große Fortschritte gemacht hat, gibt es immer noch Spannungen zwischen Ost und West. Da Deutschland sich derzeit mit der Gefahr einer erneuten Rezession konfrontiert sieht, schauen wir uns an, ob sich diese Schere in naher Zukunft schließen wird.
Die Wiedervereinigung einer geteilten Bevölkerung führte dazu, dass über eine Million Menschen ihre neu gewonnene Freiheit für einen Umzug in den Westen nutzten Die Bürger wurden von einem demütigenden Überwachungsstaat befreit und konnten frei reisen, ihre Meinungen äußern und ihre Regierungschefs wählen. Einige ostdeutsche Regionen haben heute niedrigere Arbeitslosenquoten als westliche postindustrielle Regionen wie das Saarland oder das Ruhrgebiet. Für die Ostdeutschen lief aber nicht alles glatt. Nachdem sie vier Jahrzehnte in einem Umfeld der Unterdrückung und Indoktrination aufgewachsen waren, konnten sich viele nicht ohne weiteres an die harten Bedingungen des Kapitalismus anpassen. Da die durchschnittliche Produktivität im Osten nur 30% der Produktivität im Westen betrug, deuten Schätzungen darauf hin, dass bis zu 80% dieser unproduktiven östlichen Arbeitskräfte während dieser Übergangsjahre im Zuge der Umstellung auf ein neues System irgendwann arbeitslos wurden. 8.500 Unternehmen wurden im Osten von der Treuhand, einer neu gegründeten und höchst umstrittenen Regierungsbehörde, privatisiert oder liquidiert. Der größte Teil der liquidierten Vermögenswerte fiel in westliche oder ausländische Hände, was die Entwicklung einer östlichen kapitalistischen Klasse behinderte.
Irgendwann geriet die Zusammenführung von Ost und West ins Stocken: Heute haben nur noch 7% der 500 wertvollsten deutschen Unternehmen (und keine im DAX30 gelisteten) ihren Sitz im Osten. Das bringt die Gemeinden um ihre Steuereinnahmen und trägt zur Produktivitätslücke zwischen Ost und West bei, die 20 Jahre lang bei rund 20% lag. Arbeitsproduktivität und Industrialisierungsgrad bleiben immer noch hinter dem Westen zurück: Die Durchschnittslöhne sind für die gleiche Arbeit immer noch 20% niedriger als in den westlichen Bundesländern. Viele haben das Gefühl, dass der Osten immer noch vom Westen „regiert“ wird, da nur 4% der Spitzenjobs im Osten von Ostdeutschen besetzt sind und viele Wohnungsvermieter Westdeutsche sind, die den größten Teil des Wohnungsbestands besitzen. Auch der demografische Wandel stellt ein Risiko dar, da der Osten aufgrund der Massenabwanderung von Jugendlichen eine ältere Bevölkerung hat als der Westen. Seit 1990 ist die Zahl der über 60-Jährigen im Osten um 1,3 Millionen gestiegen, obwohl die Gesamtbevölkerung um 2,2 Millionen zurückgegangen ist. Dieser Bevölkerungsrückgang stellt eine Bedrohung für die Produktivität der ostdeutschen Erwerbsbevölkerung dar, da der knappe Nachwuchs die untere Sprosse der ostdeutschen Karriereleiter betritt. Auch wenn sich die Kluft zwischen Ost und West seit der Wiedervereinigung verkleinert hat, besteht die Gefahr, dass die Schere zwischen dem Lebensstandard in West und Ost in Zukunft weiter aufgeht. Obwohl sich die allgemeine Auswanderung in den Westen verlangsamt, spannen die ostdeutschen Städte den gebeutelten Kleinstädten und Dörfern nun die gebildeten Arbeitskräfte aus.
Diese Trends lassen sich beim Wirtschaftswachstum auf nationaler Ebene beobachten, wo Ostdeutschland Anfang der 90er Jahre nach der Wiedervereinigung, die zunächst die Nachfrage in der Region beflügelte, ein starkes, nicht inflationäres BIP-Wachstum verzeichnete. Westdeutschland scheint in den frühen 90er Jahren dagegen nur ein sehr geringes Wachstum des Pro-Kopf-BIP verzeichnet zu haben, obwohl es zunächst recht gut mit den Belastungen der Wiedervereinigung auf seine Ressourcen zurechtkam. Deutschland wies in den 90er Jahren insgesamt ein schleppendes Wachstum auf, das viele auf die drastische Verschlechterung der öffentlichen Finanzen nach der Wiedervereinigung zurückführten. Es ist jedoch unklar, ob sich das Wachstum in Westdeutschland aufgrund des Zustroms unproduktiver Arbeitskräfte aus Ostdeutschland (die ostdeutsche Wirtschaft betrug lediglich 10 % des westlichen BIP) oder aufgrund einer schlecht geplanten straffen Fiskal- und Geldpolitik verlangsamt hat, die ein lang anhaltendes deflationäres Wirtschaftsumfeld zur Folge hatte. Dennoch entwickelte sich Ostdeutschland trotz regionaler Unterschiede und eines schwachen Gesamtwachstums immer noch besser als die meisten anderen osteuropäischen Länder, die den Kommunismus in den 90er Jahren abgeschüttelt hatten. Ein Blick auf den Rest des ehemaligen Ostblocks, wo Arbeitslosigkeit und Armut tendenziell höher sind, deutet darauf hin, dass Ostdeutschland das Glück hatte, einen starken Weststaat an seiner Seite zu haben, der es bei seinem Übergang zur Marktwirtschaft unterstützte. Die Anwendung westlicher Gesetze und Praktiken hat offenbar die Gefahr einer oligarchischen Korruption abgewendet, die viele der östlichen Nachbarn Deutschlands heimgesucht hat, wobei Polen die größte Ausnahme zu sein scheint.
Heute bestehen diese regionalen Ungleichgewichte weiter und angesichts der drohenden erneuten Rezession in Deutschland ist es unwahrscheinlich, dass sich die Kluft zwischen Ost und West in absehbarer Zeit schließen wird. In der jetzigen Form erscheint die verfassungsmäßige Zusage „gleichwertiger Lebensbedingungen“ in ganz Deutschland zunehmend unerreichbar.
Was ist mit den Anleiherenditen nach der Wiedervereinigung passiert? Die Bundesbank führte den Anstieg der Staatsschuldenquote seit 1989 fast ausschließlich auf die Kosten der Wiedervereinigung zurück.
Die deutsche Zentralbank sah für die deutschen Anleihenmärkte ein wesentliches Risiko darin, dass das hohe Tempo der Wiedervereinigung zu einem Defizit im öffentlichen Sektor führen und damit die Inflation destabilisieren und das Vertrauen in die D-Mark, den Anker des Europäischen Währungssystems, untergraben könnte. Die Bundesbank straffte daraufhin die Geldpolitik massiv und trieb die deutschen Zinsen 1991 und 1992 um rund 3% nach oben. Da deutliche Steuererhöhungen und ein Anstieg der administrierten Preise die Inflation in die Höhe trieben, hob die Bundesbank die Zinsen weiter an. Leider mussten die Deutschen für das konsequente Streben der Zentralbank nach Preisstabilität einen hohen Preis bezahlen, nämlich mit einer hohen Arbeitslosigkeit und einem anhaltend niedrigen Wirtschaftswachstum. Diese Vorgehensweise führte zu einem letzten echten Anstieg der Renditen von deutschen Staatsanleihen seit 1989, als die Zinslast in die Höhe schnellte, trotz der Auswirkungen auf die Renditen von Staatsanleihen, die man normalerweise mit niedrigeren Wachstumsraten verbinden würde. Die hohen deutschen Zinsen erschwerten es anderen europäischen Volkswirtschaften, korrigierende geldpolitische Maßnahmen zu ergreifen. Das Ergebnis war die Krise des Europäischen Währungssystems in den Jahren 1992 und 1993. Seitdem haben die kontinuierliche geldpolitische Lockerung und das Sicherheitsdenken der verschuldeten europäischen Peripherieländer dazu geführt, dass sich Investoren vermehrt in Bundesanleihen flüchteten und die Renditen in den aktuellen negativen Bereich trieben.
Im Zuge der Wiedervereinigung gab es riesige Transferzahlungen (fast 2 Billionen Euro) von West nach Ost. Der westdeutsche Kanzler (Helmut Kohl) wandelte Sparguthaben in Hartwährung zum großzügigen Wechselkurs von einer D-Mark zu einer Ostmark um. So erhielt die gesamte ostdeutsche Bevölkerung wie kein anderes Land, das jemals von Unterdrückung befreit wurde, die Staatsbürgerschaft einer großen, reichen Demokratie. Die D-Mark verzeichnete eine erhöhte Nachfrage, insbesondere aus dem Ausland, da sie schnell zu einem Ersatz für den Dollar wurde. Trotz des schwachen Wirtschaftswachstums in den 90er Jahren konnte die D-Mark aufgrund der strengen Gelddisziplin der Deutschen Bundesbank einen Großteil ihrer Stärke als „sicherer Hafen“ bewahren (bevor Deutschland 2001 den physischen Euro einführte). Allerdings scheinen die Deutschen jetzt das Konzept des spontanen internen Transfers zu überdenken. Vielleicht hätte das vereinte Land eine neue Verfassung ausarbeiten sollen, anstatt die Hand in eine Richtung auszustrecken, oder vielleicht hätte eine Sonderwirtschaftszone im Osten eingerichtet werden sollen, die eine allmähliche Annäherung anstatt einer plötzlichen Wiedervereinigung ermöglicht hätte. Viele Westdeutsche sind der Meinung, dass die Investitionen im Osten auf Kosten von Investitionen in andere gebeutelte Regionen getätigt wurden, zumal die Hilfsmaßnahmen zunächst nur vorübergehend sein sollten. Immer häufiger wird eine Neuausrichtung des Finanzausgleichs anstelle der fast 70 Milliarden Dollar pro Jahr gefordert, die seit 1990 in die neuen Bundesländer fließen.
Was sind nun die wichtigsten Lehren, die wir aus diesen Jahren ziehen können? Die jüngste deutsche Geschichte lehrt uns, dass eine Währungsintegration selbst in einem nahezu perfekten Modell schwierig ist. Die Einführung einer einheitlichen Währung bedeutet, dass angeschlagene Volkswirtschaften ihre Exporte nicht mehr mit einem niedrigeren Wechselkurs ankurbeln können und somit nicht mehr wettbewerbsfähig sind. Die Währungsunion in Deutschland hat dazu geführt, dass ostdeutsche Unternehmen trotz einer deutlich niedrigeren Produktivität plötzlich mit westlichen Unternehmen auf einem ähnlichen Preis-, Lohn- und Kostenniveau konkurrieren mussten. Die Industrieproduktion sank im ersten Monat um 35% und im Folgemonat um weitere 15%. Dieses grundlegende Manko einer einheitlichen Währung zeigt sich in den Problemen der Mitgliedsländer der Eurozone, insbesondere der Peripherie, wo eine gemeinsame Währungs- und Geldpolitik dazu führen kann, dass die Divergenz zunimmt, sobald die Volkswirtschaften voneinander abzuweichen beginnen. Im Hinblick auf die Lehren für die Anleihenmärkte sind Bundesanleihen ein recht einzigartiger Fall, da die Renditen von Staatsanleihen in der Regel einem schwachen nominalen BIP-Wachstum folgen. Während der Wiedervereinigung stiegen die Renditen jedoch trotz des schwachen deutschen Wachstums um rund 150 Basispunkte an. Seitdem sind die Renditen von Bundesanleihen aufgrund einer Kombination aus Wachstumsschwäche und Anlegern aus den Peripheriestaaten, die sich in Zeiten der Unsicherheit vermehrt in Bundesanleihen flüchten, gesunken.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Deutschland daran erinnert, welch große Rolle Geschichte und Pfadabhängigkeit spielen. Die Unterschiede im kulturellen und institutionellen Hintergrund Ostdeutschlands im Vergleich zum Westen sind auch heute noch im Leben der deutschen Bürgerinnen und Bürger präsent. Auf beiden Seiten der jetzt verschwundenen Mauer ist die Unzufriedenheit nach wie vor groß, und auch 30 Jahre später wartet Ostdeutschland noch auf den wirtschaftlichen Aufschwung, den die Währungsunion auslösen sollte.
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