Die Argumente, die dafür sprechen, dass der Euro überleben wird

Trübe Aussichten für das Wirtschaftswachstum, eine hohe Arbeitslosigkeit, eine enorme Schuldenlast, marode Staatsfinanzen – nur allzu leicht können Analysten und Volkswirte derzeit behaupten, dass der Euro nicht ewig bestehen bleiben wird. Doch knapp fünf Jahre nach der Lehman Brothers-Pleite haben wir bereits eine ganze Reihe von Staatsschuldenkrisen überstanden, und immer noch ist der Euro, der 1999 eingeführt wurde, die gemeinsame Währung der Wirtschaft- und Währungsunion (EWU). So mancher wird an dieser Stelle anmerken (wie auch wir dies in der Vergangenheit getan haben), dass eine Währungsunion ohne eine vollständige und handlungsfähige Fiskalunion auf lange Sicht nicht tragfähig ist und eine interne Abwertung in Form niedrigerer Lohn-Stück-Kosten für Staaten wie Irland und Griechenland einfach zu schmerzhaft wäre, weil dadurch innerhalb der Eurozone wahrscheinlich Wachstumsdifferenzen entstehen würden. Uns ist aber auch bewusst, dass die Mitgliedsstaaten der Europaischen Union ebenso wie die Europäische Zentralbank bisher einen sehr ordentlichen Job gemacht haben, indem sie die akuten Symptome der Krise behandelt und sich jedem Problem gestellt haben, das der Erhalt der Währungsunion bisher mit sich gebracht hat.

Abgesehen davon bleibt aber eine langfristige Herausforderung bestehen: Denn eine wirtschaftliche Annäherung der Mitgliedsstaaten der Eurozone untereinander ist im Hinblick auf eine gemeinsame Geldmarktpolitik, die auf einer gewissen Preisstabilität basiert, für Deutschland ebenso bedeutsam wie für Griechenland. Und aufgrund der Probleme, die eine gemeinsame Geldmarktpolitik und ein einheitlicher Wechselkurs mit sich bringen, stellt eine solche Annäherung derzeit das größte Problem für die EWU dar.

Vor diesem Hintergrund halten wir den Zeitpunkt für günstig, um einmal darüber nachzudenken, ob die ehrgeizigste Idee einer Währungsunion aller Zeiten tatsächlich über die notwendigen Kraftreserven verfügt, um auf lange Sicht durchzuhalten. Wie lauten also die wichtigsten Gründe, weshalb der Euro letztlich überleben und in Zukunft sogar florieren wird?

Die Eurozone steht derzeit an der Schwelle zu einer Erholungstendenz, während es gleichzeitig Hinweise auf eine Konvergenz der Mitgliedsstaaten untereinander gibt.

Wirtschaftliche Frühindikatoren wie die Einkaufsmanager-Indizes (PMIs) und die Zahlen zur Industrieproduktion sprechen derzeit für ein im II. Quartal positives Wachstum. Gleichzeitig zieht das Verbrauchervertrauen inzwischen wieder an, während sich in einigen Staaten auch die Arbeitslosenzahlen allmählich wieder verbessern. Natürlich hat Europa das Schlimmste damit noch keineswegs überstanden, sondern muss nach wie vor mit beträchtlichen Wachstumsbremsen fertig werden (über die wir kürzlich bereits berichtet haben). Trotzdem könnten einige erste Anzeichen darauf hindeuten, dass die grundlegenden strukturellen Reformen, die in den Peripheriestaaten umgesetzt worden sind, mittlerweile auch Früchte zu tragen beginnen.

Darüber hinaus gibt es inzwischen auch einige Hinweise auf ein wieder ausgewogeneres Gleichgewicht innerhalb der Eurozone selbst. So sind die Lohn-Stück-Kosten während der Boom-Jahre in den europäischen Peripheriestaaten übertrieben kräftig angestiegen, während sie in Deutschland nicht stark genug angezogen haben. Diese Entwicklung führte letztlich zu ausgeprägten Differenzen bei der Wettbewerbsfähigkeit innerhalb der Eurozone. Zuletzt haben sich diese Diskrepanzen aber wieder etwas abgeschwächt (obwohl immer noch viel Arbeit vor Staaten wie Italien und Frankreich liegt – wie Sie unserem entsprechenden Blog-Beitrag hier entnehmen können). Was die Leistungsbilanzen betrifft, so weisen diese in Italien und Irland momentan Überschüsse auf, während in Spanien und Portugal moderate Defizite bestehen. Derweil konnte Griechenland sein enorm hohes Leistungsbilanzdefizit inzwischen reduzieren.

Dies sind zwar kleine, aber notwendige Schritte, um die Überlebensfähigkeit des Euro zu sichern.

Deutschland ist das China Europas

Im Gegensatz zu den südeuropäischen Volkswirtschaften und Irland boomt die deutsche Wirtschaft zurzeit. Die Arbeitslosigkeit ist niedrig, die Exporte sind hoch, die Inflation ist moderat und der Konsumsektor brummt. Außerdem gibt es inzwischen einige Hinweise darauf, dass die Immobilienpreise in einigen Regionen Deutschlands nach oben klettern. Ein entscheidender Grund dafür, dass sich die deutsche Wirtschaft in dieser turbulenten Phase so erfreulich entwickelt hat, ist der Umstand, dass die externe Wettbewerbsfähigkeit dieses Landes nicht durch eine aufwertende Währung beeinträchtigt worden ist. So liegt beispielsweise der für Deutschland geltende reale Wechselkurs in Zeiten des Euro etwa 40 Prozent unter jenem Wechselkurs, zu dem seinerzeit die Deutsche Mark gegenüber dem US-Dollar gehandelt wurde.

Deshalb kann Deutschland auch als das China Europas bezeichnet werden (zumindest was den Handelsüberschuss betrifft), denn der weltweit höchste Handelsüberschuss von etwa 193 Mrd. Euro pro Jahr (China erzielt momentan einen Überschuss von jährlich rund 150 Mrd. US-Dollar) basiert auf einem sehr deutlich unterbewerteten Wechselkurs. Ein überwältigender Teil dieses Überschusses resultiert aus dem Handel mit anderen Euro-Ländern (wie Italien, Griechenland, Spanien, Portugal und Irland).

Das überschüssige Kapital, das dank der besseren internationalen Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands erwirtschaftet wird, fließt letztlich aber auch wieder zurück nach Südeuropa und Irland. Schließlich gehören auch deutsche Banken und Investoren zu der internationalen Gruppe von Gläubigern, die den Regierungen und Unternehmen der Peripheriestaaten Geld geliehen haben, um damit höhere Renditen zu erzielen als mit ihren eigenen deutschen Bundesanleihen. Natürlich wären die südeuropäischen Staaten ebenso wenig wie Irland in der Lage gewesen, derart hohe Schulden anzuhäufen, wenn dieses Kapital nicht bereitgestellt worden wäre (so befanden sich im Jahr 2008 etwa 80 Prozent aller griechischen, irischen und portugiesischen Staatsanleihen im Besitz ausländischer Investoren). Darüber hinaus wäre der Anstieg der Lohn-Stück-Kosten in diesen Staaten (vor allem im öffentlichen Sektor) vielleicht moderater ausgefallen, und auch die Kluft bei der Wettbewerbsfähigkeit zwischen Deutschland und den Peripherieländern wäre nicht so tief wie es derzeit der Fall ist.

Damit ist Deutschland der größte Nutznießer der Gemeinschaftswährung. Gleichzeitig hätte ein Zahlungsausfall aber auch verheerende Auswirkungen auf das Bankensystem sowie die Exportindustrie dieses Landes. Deutschland ist also vom Euro abhängig und wird ihn deshalb wohl kaum aufgeben.

Die Alternative, die sich den südeuropäischen Staaten und Irland bietet, ist bei weitem zu schmerzhaft

Deutschland profitiert derzeit also in wesentlich höherem Maße vom Euro als die so genannten Schuldenstaaten. Schließlich hat die Gemeinschaftswährung diese Länder ihrer Fähigkeit beraubt, durch eine Abwertung ihrer jeweiligen Währungen wettbewerbsfähiger zu werden (betrachten Sie in diesem Zusammenhang beispielsweise die Erfahrungen dieser Staaten im Vergleich zu Großbritannien). Darüber hinaus ist auch das Zinsniveau zu restriktiv, während Überschusskapazitäten und extrem hohe Arbeitslosenquoten einen deflationären Effekt hervorgerufen haben. Deshalb wurden Staaten wir Griechenland und Irland auch nicht von einer Rezession, sondern von einer Depression erfasst.

Da die politischen Entscheidungsträger in den südeuropäischen Ländern und in Irland also keinen Zugang zu geldmarkt- oder währungspolitischen Stellschrauben mehr haben, bleibt ihnen nur noch eine Möglichkeit, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu steigern: schmerzhafte Sparmaßnahmen sowie eine interne Abwertung in Form niedrigerer Löhne. Nur auf diesem Weg besteht für diese Staaten überhaupt noch Hoffnung, in einer globalisierten Welt mit Ländern wie Deutschland konkurrieren zu können.

Warum aber verlässt keines dieser Länder die Eurozone? Griechenland, Irland und Zypern haben den Euro in den letzten Jahren zwar vor eine Zerreißprobe gestellt, gehören aber immer noch der Währungsunion an. Der überzeugendste Grund ist wohl, dass der Preis eines Ausscheidens aus der EWU um ein Vielfaches höher wäre als die Vorteile eines solchen Schritts. Zumal die Aussichten auf Mittelabflüsse, eine explodierende Inflation, einen Staatsbankrott, Massenarbeitslosigkeit und soziale Unruhen diese Option nicht gerade verlockend erscheinen lassen. Und stellen Sie sich erst einmal vor, was passieren würde, wenn Italien oder Spanien den Euroraum verlassen wollten. Für die Schuldenstaaten ist es also das kleinere Übel, den Euro zu behalten.

Die Europäische Zentralbank wird „alles Notwendige“ tun

Mittlerweile ist es ein Jahr her, seit EZB-Präsident Mario Draghi eine der wichtigsten Reden in der Geschichte Europas gehalten hat, in der er erklärte: „Die EZB ist bereit, im Rahmen ihres Mandats alles Notwendige zu tun, um den Euro zu erhalten. Und glauben Sie mir, das wird ausreichen.“ Mit dieser Äußerung überzeugte Draghi die Märkte davon, dass die EZB über eine schier unbegrenzte Feuerkraft verfügt, um die Mitgliedsstaaten (und zwar insbesondere Spanien und Italien) zu stützen. Unmittelbar nach dieser Rede gingen die bis dahin gefährlich hohen Renditen von Staatsanleihen aus den europäischen Peripherieländern zurück (auf diesem Niveau war eine nachhaltige Kreditaufnahmen langfristig nämlich nicht mehr möglich) und sind derzeit wesentlich niedriger als noch vor einem Jahr. Der Markt glaubt Draghi also immer noch und preist Risiken inzwischen angemessener ein. Da sich die EZB mittlerweile auch langsam zu ersten monetärpolitischen Prognosen veranlasst fühlt, könnte es nicht mehr lange dauern, bis weitere unkonventionelle geldmarktpolitische Maßnahmen wie etwa ein neues LTRO-Programm angekündigt werden.

Unterschätzen Sie nicht den politischen Willen, die Eurozone zu erhalten

Trotz all dieser Probleme – der besorgniserregenden Zukunftsaussichten, der Rekord-Arbeitslosigkeit, der enorm hohen Schulden oder der geplanten Besteuerung von Sparguthaben in Zypern – hat bisher kein Staat die EWU verlassen. Stattdessen sind mit der Slowakei (2009) und Estland (2011) bereits neue Mitgliedsländer hinzugekommen, und weitere könnten noch folgen (wie etwa Lettland im Jahr 2014). Darüber hinaus bleiben die europäischen Staaten offen für einen Ausbau der Handelsbeziehungen, haben die politischen Strukturen auf EU-Ebene weiter gestärkt und sich nicht hinter protektionistischen Strategien verschanzt. Außerdem wurden die EU-Bankenaufsicht verschärft, das Finanzsystem stabilisiert und neue Anforderungen an die Kapitalausstattung von Banken eingeführt.

Natürlich gibt Europa aber nach wie vor Anlass zu großer Sorge. Denn für eine wirklich erfolgreiche Währungsunion bedarf es nicht nur einer politischen, sondern auch einer wirtschaftlichen Integration. Dafür müssten die europäischen Politiker aber auch eine noch stärkere Einschränkung ihrer politischen Eigenständigkeit akzeptieren. Dies wird sich ebenfalls als schwierig erweisen. Darüber hinaus muss eine größere Konvergenz auf wirtschaftlicher Ebene erreicht werden. Am besorgniserregendsten ist aber vermutlich, dass der Mix aus mäßiger Binnennachfrage, Sparmaßnahmen, gesunkenen Löhnen und einer hohen Arbeitslosigkeit in der Regel seinen politischen Tribut fordert und soziale Unruhen nach sich zieht. Trotzdem könnte sich der Euro angesichts der bisherigen Erfolge der EU und der EZB sowie der oben aufgeführten Gründe aber als wesentlich robuster erweisen als es einige Volkswirte derzeit erwarten.

 

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Anthony Doyle

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