Spaniens Antwort auf die Rezession – ein Spiel auf Zeit
Die Zeiten in Spanien ändern sich, oder zumindest könnten sie das – und ich spiele hierbei nicht auf erste Anzeichen einer wirtschaftlichen Erholung an, wie beispielsweise die kürzliche Anhebung von Spaniens Wachstumsprognose für 2014 von 0,5% auf 0,7%. Ich beziehe mich im wahrsten Sinne des Wortes auf eine mögliche Zeitänderung in Spanien. Ende September veröffentlichte ein Ausschuss des spanischen Parlaments einen Bericht, der sich dafür aussprach, die Uhren in Spanien um eine Stunde zurückzustellen.In der falschen Zeitzone zu liegen, so lautete das Argument, hätte negative Auswirkungen auf die Essgewohnheiten, den Schlaf und die Arbeitsweise. Eine korrigierende Zeitverschiebung könnte deshalb sowohl die öffentliche Gesundheit als auch die wirtschaftliche Produktivität verbessern. Interessant ist, dass Spanien nicht immer schon in seiner aktuellen Zeitzone lag, sondern die Uhren erst auf General Francos Befehl hin im Jahr 1940 um eine Stunde vorgestellt wurden, um Spanien auf Linie mit seinen damaligen faschistischen Verbündeten Deutschland und Italien zu bringen. Aber hat nun der Ausschuss Recht? Sollte Spanien in seine Vorkriegs-Zeitzone zurückkehren?
Werfen wir hierfür einen Blick auf die Zeitzonen in der Europäischen Union. Wenn wir die Überseeterritorien außer Acht lassen, verwenden die EU-Mitgliedstaaten drei Zeitzonen – die Westeuropäische Zeit (WEZ, UTC +00:00), die Mitteleuropäische Zeit (MEZ, UTC +01:00), die Osteuropäische Zeit (OEZ, UTC +02:00) – sowie die jeweils davon abgeleiteten Sommerzeiten. Im Folgenden sind nur die relativen Zeitunterschiede zwischen den Ländern relevant. Zur Vereinfachung können wir daher die Sommerzeitumstellungen ausklammern, da ohnehin alle EU-Mitgliedstaaten die Uhren synchron vor- und zurückstellen. Nur drei EU-Länder benutzen die WEZ: Portugal, Irland und Großbritannien. Die OEZ wird in den baltischen Staaten und in Finnland, Rumänien, Bulgarien, Griechenland und Zypern verwendet. Abgesehen von den Kanarischen Inseln liegt Spanien zusammen mit den übrigen EU-Ländern in der MEZ-Zone.
Um nach geografischen Gesichtspunkten beurteilen zu können, ob Spanien in der falschen Zeitzone liegt oder nicht, habe ich einen Blick auf einige der größten spanischen und andere wichtige europäische Städte geworfen, die die WEZ oder die MEZ benutzen. Für jede Stadt berechnete ich dann in Längengraden die Differenz zwischen ihrer tatsächlichen Lage und der Mittelachse ihrer Zeitzone, d.h. dem Nullmeridian für die WEZ und dem 15. Längengrad Ost für die MEZ.
In Bezug auf diese europäischen Städte, die im Diagramm von Westen nach Osten angeordnet wurden, sind die größten geografischen Abweichungen bei den spanischen Städten (hellgrüne Farbe) zu beobachten. Insbesondere Vigo, das in der nordwestlichen autonomen Region Galicien liegt, weist eine beeindruckende Diskrepanz von fast 24° auf. Abgesehen von Spanien zeichnen sich auch Städte im Westen Frankreichs wie Bordeaux durch sehr hohe Verschiebungswerte aus. Westeuropäische Städte, die die WEZ (mit Sternchen versehen) benutzen, wie z.B. Lissabon, Dublin und London, weisen jedoch deutlich niedrigere Abweichungen auf, da ihre Bezugsachse der Nullmeridian und eben nicht der 15. Längengrad Ost ist. Streng genommen passen nur die Städte östlich der Beneluxländer, im Diagramm also die Städte ab Rom, geografisch in MEZ-Zone. Für Spanien hingegen wäre die WEZ-Zone eindeutig besser geeignet. Hält Spanien an der MEZ fest, so resultiert daraus eine dauerhafte Inkongruenz zwischen offizieller Zeit und tatsächlich wahrgenommener Sonnenzeit. Aber warum hat Spanien dann nicht schon längst auf WEZ umgestellt?
Dies liegt unter anderem daran, dass einige Auswirkungen dieses zeitlichen Ungleichgewichts eigentlich als wünschenswert erachtet werden. So hat z.B. eine zusätzliche Stunde Sonnenschein am Abend möglicherweise positive Auswirkungen auf den Tourismus in Spanien. Ein weiterer Aspekt betrifft die Auswirkungen, die ein Wechsel von der MEZ zur WEZ auf Spaniens grenzüberschreitenden Geschäftsverkehr haben könnte. Im Falle eines Wechsels zur WEZ ist es wahrscheinlich, dass die Geschäfte mit Ländern der MEZ-Zone erschwert werden würden. Aufgrund der Abweichungen bei täglichen Zeitplänen, bei Geschäfts- und Handelszeiten könnten die Transaktionskosten steigen. Ebenso könnten die Geschäfte mit Ländern der OEZ-Zone unter einer zusätzlichen Stunde Zeitunterschied leiden. Die Geschäftsbeziehungen zu Ländern der WEZ-Zone hingegen würden höchstwahrscheinlich erleichtert werden. Um diese gegensätzlichen Auswirkungen zu beurteilen, habe ich Spaniens EU-Exporte und -Importe der letzten fünf Jahre in Zeitzonen unterteilt. Der Einfachheit halber habe ich Spaniens Außenhandel außerhalb der EU nicht berücksichtigt. Da zwischen Spanien und wichtigen Handelspartnern wie China und den USA mehrere Zeitzonen liegen, wären die Auswirkungen einer Zeitverschiebung von einer Stunde wohl eher unbedeutend.
In den letzten fünf Jahren ist die Zusammensetzung von Spaniens EU-Exporten und -Importen nach Zeitzonen bemerkenswert stabil geblieben. Länder der OEZ-Zone sind lediglich Nischenmärkte für Spaniens Exporte und Importe. Beide Seiten der Handelsbilanz werden klar von den Geschäften mit Ländern der MEZ-Zone dominiert (72-74% der Exporte und 80-81% der Importe). Exporte in und Importe aus Ländern mit WEZ machen jeweils nur 22-24% und 16-18% aus. Dies legt nahe, dass ein Wechsel von der MEZ zur WEZ das Risiko birgt, den Großteil von Spaniens EU-Handel zu erschweren.
Aber gibt es einen Weg, dieses Risiko zu reduzieren und es Spanien dennoch zu ermöglichen, zur WEZ zu wechseln? Nun, ich hätte da eine Idee: Spanien könnte eine Lobbykampagne starten und Frankreich sowie die Beneluxländer davon überzeugen, gemeinsam von MEZ auf WEZ umzustellen. Wie im ersten Diagramm zu sehen ist, würden die Städte in diesen Ländern geografisch ohnehin viel besser in die WEZ-Zone passen. Darüber hinaus könnte auch auf politischer Ebene argumentiert werden, denn die MEZ wurde in diesen Ländern während der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg gewissermaßen mit vorgehaltener Waffe eingeführt. Deshalb könnte ein Wechsel zur WEZ den betroffenen Wählern als längst überfällige Maßnahme vorgestellt werden, um das Erbe faschistischer Aggression in Westeuropa zu beseitigen – und wer könnte schon ein solches ehrenwertes Unterfangen ernsthaft in Frage stellen? Eine großangelegte Umstellung mehrerer bedeutsamer EU-Länder von MEZ auf WEZ würde erhebliche Konsequenzen für die Zusammensetzung von Spaniens EU-Exporten und -Importen sowie für das Gleichgewicht der Wirtschaftskraft in der EU im Allgemeinen haben. Die folgende Abbildung vergleicht die tatsächliche prozentuale Aufteilung der EU-Exporte und -Importe Spaniens sowie des BIPs der EU nach Zeitzonen im Jahr 2012 mit einem hypothetischen Szenario für 2012, in dem sich Spanien, Frankreich sowie die Beneluxländer in der WEZ-Zone befinden.
Wie oben bereits ausgeführt wurde, dominieren in Bezug auf Spaniens EU-Exporte und -Importe derzeit die Länder mit MEZ über die Länder mit WEZ. Wechselten jedoch andere wichtige westeuropäische Länder zusammen mit Spanien zur WEZ, so würde sich dieses Verhältnis, wie in dem theoretischen Szenario dargestellt, umkehren. In diesem Fall würden 58% von Spaniens EU-Exporten und 53% seiner EU-Importe auf Länder mit WEZ entfallen. Darüber hinaus würde sich das wirtschaftliche Kräfteverhältnis der MEZ- und WEZ-Zone in der EU drastisch verändern. Der Anteil der WEZ-Zone am Gesamt-BIP der EU würde von 17% auf 49% steigen, während der Anteil der MEZ-Zone entsprechend von 78% auf 46% sinken würde.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass ein Wechsel Spaniens von der MEZ zur WEZ aus geografischer Sicht durchaus sinnvoll wäre. Um jedoch potenzielle negative Auswirkungen auf seinen internationalen Geschäftsverkehr abzufedern, sollte Spanien intensive Lobbyarbeit betreiben, um Frankreich und die Beneluxländer zu überzeugen, seinem Beispiel zu folgen. Von einem erfolgreichen Wechsels würden dann wahrscheinlich auch Portugal, Irland und Großbritannien profitieren.
Und wenn Sie glauben, dass Spanien Zeitprobleme hat, dann sollten Sie mal an Indien und China denken. Die Indian Standard Time gilt in ganz Indien und Sri Lanka und der Zeitunterschied zur Greenwich Mean Time (GMT) beträgt verwirrenderweise +5 Stunden und 30 Minuten. Die Zeitzone erstreckt sich über mehr als 28 Längengrade, was bedeutet, dass die Sonne im Osten Indiens zwei Stunden früher aufgeht als im Westen. Auch China hat nur eine offizielle Zeitzone, die sich über mehr als 60 Längengrade erstreckt (die 48 zusammenhängenden Bundesstaaten der USA erstrecken sich gerade einmal über 25 Längengrade). Auch wenn die Auswirkungen dieses Problems dadurch begrenzt werden, dass der Großteil der chinesischen Bevölkerung an der Ostküste Chinas lebt, kann es durchaus vorkommen, dass die Sonne in der westchinesischen Stadt Kaschgar erst um 10:17 Uhr aufgeht.
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