Eine Verschiebung der Beveridge-Kurve – haben die USA ein langfristiges, strukturelles Problem mit der Arbeitslosigkeit?
Ich bin mir sicher, dass viele von uns mit einigen der bekannteren Wirtschaftstheorien zur Arbeitslosigkeit, die auf diesem Blog bereits erörtert oder zumindest angeschnitten worden sind (wie etwa das Okunsche Gesetz und die Taylor-Regel) vertraut sind. Eine wahrscheinlich nicht so geläufige Theorie (der die Volkswirte in letzter Zeit allerdings immer mehr Aufmerksamkeit schenken) ist die so genannte Beveridge-Kurve.
Auf Basis der Daten zu den offenen Stellen sowie zur Arbeitslosigkeit zeigt die Beveridge-Kurve, wie effizient in einer Volkswirtschaft freie Stellen mit arbeitslosen Arbeitskräften besetzt werden. Darüber hinaus kann diese Kurve auch Hinweise darauf liefern, in welchem Stadium des Konjunkturzyklus sich eine Volkswirtschaft gerade befindet. Betrachtet man insbesondere die US-Daten seit Dezember 2000, verlief die Entwicklung am dortigen Arbeitsmarkt erwartungsgemäß. So hatten Veränderungen beim Angebot an oder der Nachfrage nach Arbeitskräften bisher stets eine Tendenz entlang der Kurve zur Folge (dies gilt vor allem für die extra hervorgehobenen rezessiven Phasen). Besonders interessant – und unübersehbar – ist allerdings die Verschiebung, die nach dem Juni 2009 aufgetreten ist. Nach der Phase einer schrumpfenden Konjunktur wäre eine solch schlingernde Entwicklung „abseits der Kurve“ keine große Überraschung. Vielmehr würde man während einer Erholungsphase sogar genau diese Tendenz erwarten (in der eine rückläufige Arbeitslosigkeit mit einem Anstieg der Zahl der freien Stellen einhergeht, weil die Firmen eben wieder mehr Arbeitskräfte einstellen).
Was aber könnte diese Verschiebung der Beveridge-Kurve verursacht haben, die – sofern sie sich als dauerhaft erweisen sollte – einen langfristigen Anstieg der strukturell bedingten Arbeitslosigkeit zur Folge haben könnte?
1) Ineffizienz: Diese Verschiebung deutet letztlich auf eine höhere Zahl unbesetzter Arbeitsplätze hin. Könnte man deshalb vielleicht anführen, dass die Effizienz bei der Besetzung freier Stellen durch die aktuellen Bedingungen am Arbeitsmarkt kurzfristig nachgelassen hat? Tatsächlich könnte diese Ineffizienz stellenweise zugenommen haben, weil die Mobilität der Arbeitskräfte angesichts der Lage am US-Häusermarkt zuletzt nachgelassen hat. Da die Immobilienpreise nämlich nach wie vor unter ihrem Höchststand von vor der Krise liegen, sind Arbeitssuchende unter Umständen nicht bereit, ihre Häuser zu verkaufen. Dies wiederum könnte dann dazu führen, dass sie ihre Suche nach einem neuen Arbeitsplatz auf eine bestimmte Region beschränken möchten. In einem solchen Fall würde sich die Kurve im Laufe der Zeit aber wohl wieder in Richtung ihres ursprünglichen Niveaus verschieben, weil sich der Häusermarkt mittlerweile wieder erholt und vakante Stellen deshalb zukünftig schneller wieder besetzt werden.
2) Die Erwerbsquote: Könnte diese Verschiebung nicht möglicherweise auch durch den Anstieg der Arbeitslosigkeit selbst ausgelöst worden sein, der ja nach der Krise zu verzeichnen war? Zumindest theoretisch wäre dies denkbar, denn da in diesem Fall die Zahl der Arbeitssuchenden im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung ansteigt, würde dies zu einer Verschiebung der Beveridge-Kurve führen. In den USA war seit 2009 aber genau das Gegenteil zu beobachten. Dort ist die Arbeitslosenquote nämlich ebenso gesunken wie die Erwerbsquote. In diesem Zusammenhang deuten Untersuchungen von Unicredit allerdings darauf hin, dass die Arbeitslosenquote angesichts des Rückgangs der Erwerbsquote übertrieben hoch erscheint. Denn wäre die Erwerbsquote nicht gesunken, läge die Arbeitslosenquote bei 11,5 Prozent. Dies spricht dafür, dass die USA durchaus ein grundlegendes strukturelles Problem mit der Arbeitslosigkeit haben könnten, vor dem man momentan noch die Augen verschließt.
3) Langzeitarbeitslosigkeit: Falls ein fundamentales Ungleichgewicht zwischen den Anforderungen an den Arbeitnehmer und der Qualifikation des Bewerbers (die sich mehr und mehr verschlechtert, je länger man ohne Arbeit ist) die Ursache für Langzeitarbeitslosigkeit ist, könnte auch dies eine Verschiebung der Beveridge-Kurve ausgelöst haben. So ist der Anteil der Arbeitslosen, die seit mindestens 27 Wochen ohne Job sind, seit Juni 2009 angestiegen und ist nach wie vor hoch. Dies deutet darauf hin, dass wir es in den USA mit einem langfristigen und strukturellen Wandel zu tun haben.
4) Anstieg der friktionellen Arbeitslosigkeit (Sucharbeitslosigkeit): Um eine Verschiebung der Beveridge-Kurve hervorzurufen, müsste auch die friktionelle Arbeitslosigkeit – also die Phase zwischen zwei Beschäftigungsverhältnissen, in der ein Arbeitnehmer infolge von Entlassung oder Kündigung arbeitslos ist – ansteigen. Obwohl dieser Faktor die Verschiebung der Kurve ursprünglich ausgelöst haben könnte, steht diese Argumentation meiner Meinung nach aber im Widerspruch zu der Dauerhaftigkeit dieser Verschiebung. Denn wenn diese Tendenz ausschließlich auf die friktionelle Arbeitslosigkeit zurückzuführen wäre, hätte dieser Effekt seit 2009 bereits wieder nachlassen müssen, weil sich die Entwicklung am Arbeitsmarkt seitdem wieder erholt hat.
5) Wirtschaftliche und politische Unsicherheit: Man kann sicherlich sagen, dass auch die USA seit 2009 durchaus ihr Päckchen an wirtschaftlicher Unsicherheit und heftigen politischen Turbulenzen (man erinnere sich nur an das Jahr 2013) zu tragen hatten. So traten zu Beginn dieses Jahres zunächst die automatischen US-Haushaltsbegrenzungen in Kraft, die vor allem durch das Auslaufen vorübergehender Einkommensteuer-Erleichterungen sowie durch Haushaltskürzungen Wirkung zeigten. Doch auch danach ließen die politischen Spannungen nicht nach und führten schließlich zu einem langwierigen „Shutdown“, im Rahmen dessen der US-Verwaltungsapparat praktisch vollständig zum Stillstand kam (obwohl diese recht aktuelle Entwicklung in den Daten bisher noch nicht berücksichtigt wird). Deshalb könnten diese Turbulenzen die Hartnäckigkeit dieser Verschiebung zumindest für das Jahr 2013 erklären.
Insgesamt deutet die Verschiebung der Beveridge-Kurve auf grundlegende Veränderungen am US-Arbeitsmarkt hin. Die entscheidende Frage wird nun aber sein, ob sich diese Verschiebung als ein lediglich kurzfristiges Phänomen erweisen wird, das im Zuge der US-Konjunkturerholung wieder verschwindet, oder nicht. Falls man jedoch davon ausgeht, dass diese Verschiebung lediglich temporärer Natur ist und die USA letztlich wieder zum Normalzustand zurückkehren werden, würde dies auf Basis der obigen Grafik dafür sprechen, dass die Arbeitslosenquote für den August 2013 bei etwa 5,5 Prozent und damit deutlich unter dem Niveau liegen sollte, welches die US-Notenbank als Voraussetzung für eine Anhebung der Zinsen betrachtet. Andererseits könnte diese Einschätzung vielleicht auch zu optimistisch sein, so dass wir es wirklich mit einer langfristigen, dauerhaften Verschiebung der Kurve zu tun haben. Deshalb sollte man die weitere Entwicklung der Beveridge-Kurve aufmerksam im Auge behalten.
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