Das britische Leistungsbilanzdefizit nimmt weiter zu. Die aktuellen Zahlen sind besorgniserregend – soll man sein Sterling-Engagement jetzt zurückfahren?
Die heutigen Zahlen zur britischen Wirtschaft stimmten zum Teil positiv. So war das BIP-Wachstum im zweiten Quartal nicht ganz so schwach wie bislang angenommen (die Wirtschaft schrumpfte um 0,4 Prozent und nicht um 0,5 Prozent) und das Wirtschaftswachstum war – abgesehen vom schwachen Bausektor – durchaus in Ordnung (wenn auch unter dem Trend).
Allerdings zeigten die Zahlen auch einen deutlichen Anstieg des britischen Leistungsbilanzdefizits. Die Differenz zwischen Importen und Exporten nahm im Quartalsverlauf zu und erreichte ein Defizit von 20,8 Milliarden GBP, was 5,4 Prozent des BIP entspricht. Zudem wurde das Defizit für das erste Quartal um 4 Milliarden GBP nach oben korrigiert und lag somit bei 15 Milliarden GBP. Die relative Stärke des britischen Pfunds steht offensichtlich den Bemühungen Großbritanniens entgegen, von einer konsumsorientierten Wirtschaft auf eine durch den Fertigungs- und Exportsektor angetriebene Wirtschaft umzustellen. Handelsgewichtet liegt das Pfund Sterling in etwa bei einem 4-Jahres-Hoch, was unserem Appetit für Konsumgüter zugute kommt (eine positive Nebenwirkung ist die Tatsache, dass die Inflation erstmals seit langer Zeit unter dem Niveau liegt, bei dem die BoE eine offizielle Stellungnahme und Erklärung abgeben muss).
Die nachstehende Grafik kann als Warnung für alle gelten, die aufgrund ihres Wohn- bzw. Geschäftssitzes oder ihrer Assetallokation von Wertschwankungen des britischen Pfunds betroffen sind. Sie zeigt die Entwicklung des britischen Leistungsbilanzdefizits seit 1955. Dabei kann man erkennen, dass auf Phasen mit einem Defizit von mehr als rund 3 Prozent des BIP häufig eine drastische Abschwächung des Pfunds folgte. Mitte der 1970er Jahre gab das Pfund Sterling gegenüber der Deutschen Mark und dem US-Dollar um fast 30 Prozent nach. Auch Anfang der 1990er Jahre sowie in der ersten Phase der Finanzkrise gab es starke Wertverluste. Natürlich kann man in all diesen Fällen auch auf andere Faktoren hinweisen (britische Bankenkrise 2008, Ausstieg aus dem EWS heute vor 20 Jahren), aber wenn der Status von Großbritannien als sicherer Hafen in Frage gestellt würde (wenn wir z. B. nach der Herbst-Erklärung des Finanzministers zur Haushaltslage unser AAA-Rating verlieren), könnte dies den Währungsmärkten als Anlass für eine Abwertung des britischen Pfunds dienen.
Gemessen an der Kaufkraftparität (KKP, ein Parameter zur Feststellung, wie hoch der Wechselkurs sein muss, um die Kaufkraft zwischen verschiedenen Ländern auszugleichen), ist das Pfund Sterling gegenüber dem Euro angemessen bewertet, gegenüber dem australischen Dollar billig (dieser scheint um 23 Prozent überbewertet zu sein – wer dort im Urlaub für ein Bier so ungefähr eine Million Pfund hat zahlen müssen, kann davon ein Lied singen), aber gegenüber dem US-Dollar 15 Prozent zu teuer.
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