Der Bestseller in Frankreich. Économie du Bien Commun – Eine Rezension
Während meines Urlaubs im August las ich das Buch, das die politische und wirtschaftliche Landschaft Frankreichs im Sturm erobert hat (nein, es ist nicht „Capital“ von Thomas Piketty). Der Ökonom und Nobelpreisträger Jean Tirole hat ein Buch mit dem Titel „Économie du Bien Commun” (oder „Wirtschaft für das Allgemeinwohl“) geschrieben. Dieses Buch nutzt eine einfache Sprache und versucht, eine große Leserschaft anzusprechen, einschließlich Leser mit nur geringen Wirtschaftskenntnissen. Es ist eine leichte Lektüre: In 17 Kapiteln und über 600 Seiten behandelt Tirole so ziemlich jedes Thema, mit dem sich die französische Wirtschaft aktuell herumschlägt, vom Klimawandel über die Herausforderungen der Europäischen Union bis hin zur Digitalwirtschaft.
Der für mich relevanteste Teil des Buches ist Tiroles klare Meinung zum französischen Arbeitsmarkt. Nationale Sicherheit und Arbeitslosigkeit werden bei der französischen Präsidentschaftswahl im Mai 2017 die zwei wichtigsten Themen sein. Ersteres kam verständlicherweise auf die Agenda, weil das Land seit einigen Jahren immer wieder Zielscheibe für größere Terrorattacken ist. Arbeitslosigkeit ist jedoch nun schon seit 40 Jahren ein strukturelles Problem.
Tirole spricht Klartext: Er argumentiert, dass sich Frankreichs historisch hohe Arbeitslosenquote nicht aus den ungünstigen Einflüssen der globalen Marktwirtschaft ergibt – eine weitverbreitete und praktische Erklärung von französischen Politikern –, sondern eher aus der gesellschaftlichen Entscheidung, einen sehr starren Arbeitsmarkt zu etablieren. Mit dem Bewusstsein weiter steigender Arbeitslosenzahlen beschloss die französische Regierung, flexible befristete Arbeitsverträge (contrats à durée déterminée oder CDD) und viele subventionierte Jobs einzuführen, anstatt die extrem starren unbefristeten Verträge (contrats à durée indéterminée oder CDI) flexibler zu machen und die schwere Last von Sozialversicherungsbeiträgen auf den Schultern der Arbeitnehmer zu reduzieren. Die Zahlen sprechen für sich: 2013 waren 85% der neuen Stellen Jobs mit befristeten Verträgen. Darüber hinaus bezogen sich 77% der gesamten Kündigungen auf befristete Verträge.
In Wirklichkeit stellt ein befristeter Vertrag weder die Arbeitnehmer noch die Arbeitgeber zufrieden. Arbeitnehmer haben dadurch kaum Kündigungsschutz. Arbeitgeber sind nicht dazu geneigt, einen befristeten Vertrag zu verlängern, da er sich sonst nach französischem Recht automatisch in einen unbefristeten Vertrag verwandelt. Deshalb plädiert Tirole für die Einführung von mehr Flexibilität bei unbefristeten Verträgen, um französische Unternehmen dazu zu bewegen, mehr Arbeitnehmer mit unbefristeten Verträgen einzustellen und somit mit „besseren Jobs“ und nicht mit unsicheren, befristeten Verträgen aufzuwarten.
Tirole hinterfragt auch die aktuelle Situation in Frankreich: Derzeit muss ein Unternehmen, das einen Arbeitnehmer feuert, eine Abfindung zahlen, trägt aber nicht direkt die Kosten des (eher hohen) Arbeitslosengeldes, das der Angestellte während seiner Arbeitslosigkeit erhält und das vom Sozialsystem finanziert wird. Aktuell wird das Arbeitslosengeld über Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge finanziert (und über den Anleihenmarkt). Somit schadet die Kündigung eines Arbeitnehmers nicht nur ihm selbst (finanziell, psychologisch und sozial), sondern auch dem Sozialsystem. Tirole stellt daher das „Verursacherprinzip“ bei Kündigungen vor: Ein Unternehmen sollte dem Arbeitnehmer nicht nur eine Abfindung zahlen, sondern sich auch an den Kosten des Arbeitslosengeldes beteiligen, das diese Person während der Arbeitslosigkeit vom Sozialsystem erhält. Er fügt hinzu, dass diese Maßnahme für Unternehmen insgesamt steuerneutral wäre, da die Strafe durch Prämien für andere Unternehmen (über reduzierte Sozialversicherungsbeiträge) aufgewogen würde.
Zu guter Letzt räumt Tirole ein, dass es nicht die Aufgabe eines Ökonomen ist, zu entscheiden, ob die Menschen 35, 18 oder 45 Stunden pro Woche arbeiten sollten. Nichtsdestotrotz fegt er auch entschlossen das Argument vom Tisch, dass eine Arbeitszeitreduzierung mehr Jobs schaffen wird (er beschreibt das als „falsche Lösung“, die weder theoretische noch empirische Rückendeckung hat). Es besteht kein Zweifel, dass die Gegner einer der größten französischen Gewerkschaften, die eine wöchentliche Arbeitszeit von 32 Stunden (vorher 35) in Erwägung zieht, Tirole zitieren werden.
Ich hoffe, dass das Ansehen des Wirtschaftsnobelpreisträgers von 2014 den französischen Präsidentschaftskandidaten einen Denkanstoß geben wird. In der Vergangenheit war Thomas Piketty während des französischen Präsidentschaftswahlkampfs 2007 als Berater der sozialistischen Kandidatin Ségolène Royal tätig. Seine Idee eines vereinfachten Steuersystems war interessant und dringend nötig. Ségolène Royal verlor die Wahl jedoch gegen Nicolas Sarkozy – und seitdem wurde das Steuersystem nicht vereinfacht. Lassen Sie uns hoffen, dass Jean Tiroles gesunder Menschenverstand in Sachen Arbeitsmarkt beim nächsten französischen Staatspräsidenten auf offene Ohren stoßen wird. Das könnte dem Allgemeinwohl durchaus zuträglich sein.
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